Deutscher Hof
1993 schloss sich die Tür des „Deutschen Hofes“ in Finsternthal für immer.
Doch wer die Gaststube heute betritt, der findet sich in die damalige Zeit versetzt, denn noch immer sind die Tische eingedeckt, stehen die Gläser sauber gespült hinter der Theke.
Man erwartet fast, dass gleich die ersten Gäste durch die schmucke Eingangstür treten, die der Name des Erbauers des Hofes Gottfried Lehr sowie das Erbauungsdatum 1865 ziert. Herbert Wischmann und Holger Rühl, deren Ururgroßvater Gottfried Lehr ist, erinnern sich noch gut an die Zeiten, als hier noch gerne und ausgiebig gefeiert wurde.
1868 wurde der Tanzsaal im Obergeschoss mit einem großen Fest eingeweiht, für das auch im Usinger Anzeiger annonciert wurde. Erst ein Jahr später nennt Lehr dann seine Gastwirtschaft „Zum Deutschen Hof“. Bei der Einladung zur Kirchweihe 1870 heißt es dann wieder „Zum Deutschen Haus“.
Im gleichen Jahr bietet Gottfried Lehr per Zeitungsannonce „50 Ohm Apfelwein“ zum Verkauf an. Wie Rühl ausgerechnet hat, waren dies etwa 7700 Liter Apfelwein, für die rund 236 Säcke Äpfel gebraucht wurden. Aber letztlich ist spätestens seit 1899 die Bezeichnung „Deutscher Hof“ über der Eingangstür zu lesen. Und das bis heute. Auch wenn am Karfreitag, 30. März 1945 das Haus arg litt. Denn die Ortsmitte von Finsternthal stand an diesem Tag sechs Stunden lang unter Beschuss der Amerikaner, weil hier die sechste SS-Gebirgsdivision Nord stationiert war.
Die ganze Familie flüchtete sich damals in den Keller des Gasthauses. Mit dabei der damals dreieinhalbjährige Herbert Wischmann. Und als sie nach Ende des Beschusses wieder ans Tageslicht kamen, lagen der ganze Hof und die Straßen drumherum voll mit Trümmern des Dachstuhles.
Erst 1948 wurde alles durch einen Usinger Dachdecker wiederhergestellt. Als Bezahlung gab es „ein wohlgenährtes Rind“, erinnert sich Wischmann. Als es nachdem Krieg wirtschaftlich wieder bergauf ging, kamen gerne Bergleute aus dem Ruhrgebiet in den Taunus und nach Finsternthal.
Hier im Deutschen Hof selbst konnten zwei Einzelzimmer und zwei Doppelzimmer vermietet werden, bereits mit fließendem, allerdings zunächst nur kalten, Wasser. Obwohl schon vorausschauend für die Installation für warmes Wasser vorgerichtet war. Und wenn Bedarf war, wurde in der Nachbarschaft „fremdbelegt“. Die Vollpension gab es damals für 5 D-Mark. Das gute, günstige Essen, frisch zubereitet mit Gemüse aus dem eigenen Garten, lockte auch Stammgäste aus Bad Camberg und dem Vordertaunus an. Auf der anderen Seite der Schmitter Straße, hinter dem „Alten Rathaus“ gab es auch einen kleinen Biergarten.
Gekocht wurde auf einem mit Holz beheizten Kochherd mit integriertem Wasserschiff. Hier wurde durch die Abgase ständig Wasser auf Vorrat warm gehalten. Da neben Gastwirtschaft und Pension auch noch Landwirtschaft betrieben wurde, musste die ganze Familie mithelfen. So erinnert sich Wischmann daran, dass er noch vor der Schule manchmal die Schuhe der Gäste putzen musste. Und auch nach Schule und Hausaufgaben musste er mithelfen. Denn es galt ja Pferde, Kühe, Schweine, Schafe, Ziegen, Truthähne, Gänse, Enten und Hühner zu versorgen. Zweimal im Jahr wurde ein Schwein geschlachtet.
Da musste dann auch der damals sechsjährige Holger mithelfen und das Blut im Eimer rühren. Da es noch keine Kühlschränke gab, wurden Eisblöcke, gut in Stroh verpackt, angeliefert und im Keller zum Kühlen gelagert. Und im Obergeschoss des Hauses gab es einen Räucherschrank, der mit Sägemehl angeheizt wurde. Anfangs gab es im Deutschen Hof einen von zwei Telefonanschlüssen im Dorf.
Allerdings musste man sich diesen mit einer weiteren Gaststätte im Ort „Zum Taunus“ teilen. Da konnte immer nur von einem Anschluss telefoniert werden. Und es gab zweistellige Telefonnummern. Gelegentlich machten auch die Holzfuhrleute aus Niederlauken hier Pause, tranken Apfelwein und aßen ihre mitgebrachten Brote.
Derweil durften die Buben die Pferde tränken. Und es wurde gerne gefeiert. Maskenbälle und andere Tanzveranstaltungen, Versammlungen von Schützenverein und Freiwilliger Feuerwehr wurden hier abgehalten. Und zum ersten Mai gab es traditionell eine Schlägerei. Aber Wischmann erinnert sich auch an „legendäre Treibjagden“, nach denen der Hof voll mit Hirschen und Wildsäuen lag.
Als dann die Feriengäste ausblieben, sie fuhren jetzt lieber nach Österreich und Italien, wurde zunächst die Pension geschlossen. Aber nur von der hier in Finsternthal kaum rentablen Landwirtschaft und der Gaststätte konnte die zunehmend nötige Mechanisierung des landwirtschaftlichen Betriebes nicht gestemmt werden. Und so blieb auch die Einrichtung des Gastraumes im Charme der 1950er und 1960er Jahre stecken.
So endete die Zeit des „Deutschen Hofes“. Von einst 12 Bewohnern, einschließlich einiger „Ausgebombter aus Frankfurt“ sind jetzt nur noch drei Personen übrig.