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Schneitelbuchen

Im „Backofen“ fällt ein Buchenbestand auf: die Bäume gabeln sich etwa in Kopfhöhe und weisen dann oft zahlreiche, steil aufstrebende, starke Äste auf.

Etwa 30 dieser über 100 Jahre alten Bäume gebe es hier auf einer Fläche von fast zwei Hektar, erklärte der ehemalige Revierföster Jörg Erwe. Es sind sogenannte „Schneitelbuchen“. „Schneiteln“, das war bis vor rund 100 Jahren eine Nutzungsform von Bäumen wie Buchen, Hainbuchen und Weiden.

Dabei wurden die Bäume in Mannshöhe regelmäßig gekappt. Die jungen Triebe mit dem Laub wurden frisch oder als Laubheu an das Vieh verfüttert, stärkere Äste als Brennholz genutzt. Außerdem trieben die Bauern ihr Vieh, zum Beispiel Schweine, Kühe und Ziegen, in diese Waldgebiete.

Deshalb wurden die Bäume auch in Mannshöhe geköpft, damit das Vieh die nachwachsenden jungen Triebe nicht gleich wieder fraß. Schneitelwirtschaft ist somit eine historische Waldnutzungsform. Beispielweise wurden vor rund zehn Jahren auf drei Flächen bei der Stadt Nordhausen rund 35 Hainbuchen nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder geköpft.

Die wieder entdeckte Schneitelwirtschaft der Hainbuchen soll dann einer von vielen Bausteinen werden, der Einheimische und Touristen in den Naturpark Südharz und die Rüdigsdorfer Schweiz lockt. Gregor Maier, Leiter des Fachbereichs Kultur des Hochtaunuskreises, berichtete dazu, dass das Laubsammeln nicht „wild" erfolgte, sondern durch die Markgenossenschaften oder die Forstbehörden geregelt war.

So habe er beispielsweise aus einer Forstamts-Statistik des 19. Jahrhunderts die Angabe gefunden, dass der Gemeindewald von Oberems 1859–1868 neben 4621,34 Klaftern Holz auch 319,80 Klafter Laub abgeworfen habe (Jörg Freudenstein, Die Waldentwicklung im Hochtaunus, in: Ingrid Berg u. a. (Hgg.), Heimat Hochtaunus, Frankfurt am Main 1988, S. 610–613, hier S. 612). Interessant sei auch ein Blick in das Werk von Gottlieb Schnapper-Arndt, Fünf Dorfgemeinden auf dem Hohen Taunus.

Eine socialstatistische Untersuchung über Kleinbauernthum, Hausindustrie und Volksleben, Leipzig 1883 (Staats- und socialwissenschafliche Forschungen 4/2). Dieser gehe ausführlich auf die Bedeutung der Laubsammel-Rechte für die Bevölkerung der Feldbergdörfer ein und gebe folgende plastische Schilderung (S. 38): „Ihre Ausübung [= die Ausübung der gemeindlichen Waldrechte, G. M.], insoweit sie die Streu betrifft, ist es, welche zu einem Tage höchster Lebendigkeit in den Dörfern – dem Laubtage – Anlass giebt.

Die Ortsschelle ertönt, und fast augenblicklich zeigt allgemeines Laufen nach der Bürgermeisterei die Wirkung ihres Rufes an. Es gilt die Zettel in Empfang zu nehmen, auf welchen den Berechtigten die im Walde für sie vorbereiteten Laubhaufen durch Nummern bezeichnet sind.

Keine Viertelstunde vergeht, und die leere Dorfstrasse füllt sich mit den von allen Seiten herbeikommenden Kuhwagen an, die zu Ehren des Tages ein etwas verändertes Aussehen tragen. An der vorderen und hinteren Seite der Karren ragen fächerförmige Gitterwände hoch empor; wie ein Festzug schwankt der Train dem Walde zu.

Dort hebt eifriges Suchen nach den „Loosen" an, die durch Nummern an den nächststehenden Bäumen, den ausgegebenen Zetteln entsprechend, kenntlich gemacht sind. Es ist erstaunlich zu sehen, wie unter der vereinigten Arbeit von Mann und Frau und zuweilen auch eines hier zugezogenen „Aushälters“ die Haufen rasch dem Erdboden gleich gemacht werden, mit welcher Geschicklichkeit die Leute, mit beiden Armen mächtige Päcke umfassend, dieselben nach den Karren tragen und dabei kaum ein Blättchen zur Erde fallen lassen."

„So ähnlich wird man sich das auch andernorts vorstellen dürfen“, ist sich Maier sicher. Heute ist die Schneitelwirtschaft in Vergessenheit geraten. Selbst mancher Förster weiß mit dem Begriff nichts mehr anzufangen. Und nur noch wenige Baumbestände weisen auf diese kulturhistorische Nutzungsform hin.

Dabei bilden die Schneitelbuchen unter anderem aufgrund ihrer zahlreichen Baumhöhlen, Spalten und Risse viele natürliche Lebensräume für seltene Tiere wie Höhlenbrüter, Fledermäuse und Siebenschläfer. Aber durch ihre Wuchsform sind sie auch immer in Gefahr auseinander zu brechen, wie es hier im „Backofen“ auch schon ein paar Bäumen passiert ist.

Wie Thomas Götz vom Forstamt Weilrod dazu sagte, könnten Waldbäume Zeitzeugen alter Waldnutzungsformen sein. Die Schneitelbuchen seien solche Zeitzeugen, der Waldbestand im „Backofen“ sei bereits vor einiger Zeit aus der Nutzung genommen worden.

„Die Schneitelbuchen dürfen nun ihr natürliches Alter erreichen. Das kundige Auge sieht noch viele Spuren alter Nutzungsformen im Weilroder Wald“, so der Forstfachmann und weist auf einige wenige alte Eichen im Alter von über 250 Jahre hin, die Zeugnisse der Waldweide sind.

Häufiger zu sehen seien noch die Reste der alten Eichenniederwälder, beispielsweise an den Weiltalhängen. Hier seien auch schon wieder vereinzelt neue Niederwälder angelegt worden.